Das Digitale Versorgung-Gesetz, kurz DVG, soll heute nach zweiter und dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet werden. Ein Gesetz, das vorsieht, die Datentransparenz für Krankenkassen so zu erweitern, dass die Gesundheitsdaten der Patienten ohne deren Einwilligung für Forschungszwecke genutzt werden können.
Bereits seit 2014 ist das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) zuständig, für die die Aufbereitung von Routinedaten der Krankenkassen. Das sogenannte Informationssystem Versorgungsdaten stellt dann nutzungsberechtigten Institutionen Daten der gesetzlichen Krankenversicherung für definierte Auswertungszwecke zur Verfügung. Die Bereitstellung erfolgt nach §§ 303a bis 303e Sozialgesetzbuch V sowie der Datentransparenzverordnung.
Das Digitale Versorgung-Gesetz sieht nun vor, die bisherigen Regelungen zur Datentransparenz im Hinblick auf die Nutzung von Sozialdaten der Krankenkassen zu erweitern und die Datenaufbereitungsstelle zu einem Forschungsdatenzentrum weiterzuentwickeln (siehe § 303a – 303f Sozialgesetzbuch V). Unsere ganzen Gesundheitsdaten sollen zukünftig dann noch transparenter und besser zugänglich gemacht werden, um sie für Forschungszwecke zu nutzen!
Eine derartige zentralisierte Speicherung von Gesundheitsdaten aller Versicherten ist weder technisch noch organisatorisch zu gewährleisten oder gar zu schützen. Diese Zentralisierung unserer Gesundheitsdaten widerspricht dem Grundrecht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung und damit den Prinzipien der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), zumal eine Einwilligung durch den Patienten nicht erfolgen muss.
Wir sprechen aktuell von ca. 73 Millionen gesetzlich Versicherten, die keinen Einfluss darauf haben sollen, was mit ihren Daten wie Krankenversichertennummer, Alter, Geschlecht, den versichertenbezogen zugeordneten Wohnorten und außerdem alle Metadaten zu Behandlungen aller Versicherten bei allen Ärzten aus vielen Jahren, alle Krankschreibungen, alle Verschreibungen von Medikamenten und die Umzugshistorien, passieren soll. Der besondere Schutz personenbezogener bzw. sensibler Daten nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird einfach ignoriert.
Tagtäglich müssen sich Bürgerinnen und Bürger Belehrungen über die DSGVO durchlesen und anhören, zustimmen oder auch nicht. Die Verarbeitung von Gesundheitsdaten ist gemäß Artikel 9 Absatz 1 DSGVO grundsätzlich untersagt und darf nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Eine zentrale Speicherung und anschließende Weitergabe der hochsensiblen Patientendaten lässt eine staatliche Überwachung, Kontrolle und Selektierung von Menschen befürchten und vermuten, ebenso der daraus resultierende politische und wirtschaftliche Missbrauch von Gesundheitsdaten.
Warum sollen denn diese Daten nur pseudonymisiert aber nicht verschlüsselt werden? Weil eine schnelle Weitergabe für die „Forschung“ erfolgen soll, und zwar an: Forschungsdatenzentrum des Gesundheitsministerium, Spitzenverband der Kassen, Spitzenorganisationen der Leistungserbringer, Institutionen der Gesundheitsberichterstattung der Länder, GBA, IQWIQ, INBA, Beauftragte für Patientenbelange, maßgebliche Selbsthilfeorganisationen, Bundes und Landesbehörden, DKG, Apothekerkammer und andere Institutionen.
Im DVG versteckt sich außerdem die Bezeichnung „Elektronischer Verzeichnisdienst“. Im neu eingefügten § 291h Sozialgesetzbuch V „Elektronische Gesundheitskarte als Versicherungsnachweis“ wird die Gesellschaft für Telematik (Gematik) mit dem Betrieb eines zentralen elektronischen Verzeichnisdienstes* für die TI beauftragt. Dieser Dienst ist erforderlich, um etwa die Nutzer für die Übermittlung von Dokumenten zu adressieren oder Zugriffsrechte für die geplante elektronische Patientenakte vergeben zu können, die ab 2021 für alle gesetzlich Versicherten verfügbar sein soll. Der Verzeichnisdienst, Firma „Gematik GmbH“, stellt Einträge von Leistungserbringern und Institutionen sowie Fachdaten zum Abruf bereit. Zur Gematik GmbH gehören die Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens: mit 51% Anteil das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie die Bundesärztekammer (BÄK), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), der Deutsche Apothekerverband (DAV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV).
Ein weiterer wichtiger Punkt im neuen Digitale Versorgung-Gesetz sind die Gesundheits-Apps. Ab 2020 sollen Ärzte nämlich Rezepte für Apps ausstellen dürfen – natürlich auf Kosten der Krankenversicherung und natürlich zu Lasten der Solidargemeinschaft. Online-Shop statt Apotheke vor Ort, Videosprechstunde statt persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt, Sportübungen am Tablet statt Physiotherapie unter Aufsicht. Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich nimmt immer mehr zu und muss auch weiter unterstützt und gefördert werden, aber das aktuelle Konzept gehört unbedingt überarbeitet und verbessert.
Der Ansatz des Gesetzentwurfes, den Nutzen der Digitalisierung für den Gesundheitsbereich und insbesondere für den Patienten verfügbar zu machen, ist richtig und er ist längst überfällig, aber es fehlt an einer grundlegenden sicheren digitalen Versorgungsstrategie. Wir brauchen die Digitalisierung im Gesundheitswesen und wir brauchen sie gerade im ländlichen Raum. Im Gesundheitswesen vor allem, um zu entbürokratisieren, damit der Arzt wieder Zeit für den Patienten hat. Im ländlichen Raum, als eine Art Mobilitätsersatz für Patienten, die lange Arztwege haben, wenn Sie dort überhaupt noch einen Arzt finden. Doch die grundsätzlichen Antworten auf die Fragen nach einer verbesserten Versorgungsqualität und Versorgungszielen bleibt der Gesetzentwurf gänzlich schuldig.
Deshalb fordert Dr. Robby Schlund, im Hinblick auf die Sicherheitslücken und potentiellem Datenmißbrauch, einen dezentralen Umgang mit den hochsensiblen Gesundheitsdaten unserer Patientinnen und Patienten sowie eine Zustimmungs- bzw. Ablehnungsrecht für die Patienten. Als Basis für eine Datenspeicherung und eventuelle Weitergabe an Dritte muss eine sichere, fundierte und funktionierende Telematik-Infrastruktur geschaffen werden. Mit dem E-Health-Gesetz aus 2015 wurden Ärzte verpflichtet, dieses umstrittene System in der Praxis einzuführen. Das Grundproblem liegt hier in der nicht ausreichenden Verschlüsselung der Patienten-Metadaten, weshalb sich viele ärztliche Kollegen weigern, dieses System in der Praxis zu integrieren und damit die Daten ihrer Patienten schützen möchten. Doch wird nicht am Grundproblem gearbeitet, sondern den Ärzten gedroht, eine Honorarkürzung von 2,5 Prozent vorzunehmen, und das ist nicht vertretbar, so Dr. Schlund.
Der Grundgedanke zur Digitalisierung des Gesundheitswesen ist begrüßenswert und muss vorangetrieben werden, doch dem aktuellen Entwurf des Digitale Versorgung-Gesetz wird sich die AfD enthalten. Es muss zwingend eine Nachbearbeitung des Gesetzenwurfes geben, damit es nicht zu einer Verbesserung auf der einen Seite und einer Verschlechterung auf der anderen Seite kommt. Verwunderlich ist die Haltung der FDP, die zum Bundestagswahlkampf mit dem Slogan „Digital first, Bedenken second“ warb, nun aber das Digitale Versorgung-Gesetz und somit das Voranschreiten in der Digitalisierung komplett ablehnt. Wahlversprechen sehen anders aus.