„Der Sozialismus ist die beste Prophylaxe“ – mit diesem Slogan wurde die Vorsorge als Ordnung der sozialen Sicherheit in der DDR propagiert. Dort galt ab 1953 eine gesetzliche Impfpflicht u.a. gegen Pocken, Diphtherie, Keuchhusten, Wundstarrkrampf, Kinderlähmung und Tuberkulose und ab 1970 auch gegen Masern. Wer diese Pflicht zur Impfung vorsätzlich oder fahrlässig missachtete, konnte mit einem Verweis und sogar Ordnungsstrafen zwischen 10 und 500 DDR-Mark bestraft werden. Auch zur Auffnahme in Kinderbetreuungseinrichtungen musste ein Impfausweis vorgelegt werden.
Doch neben den o.g. Impfungen gab es noch die seit 1971 gesetzlich vorgeschriebene Anti-D-Immunprophylaxe zum Schutz von Kindern rhesusfaktornegativer Mütter.
Es geschah 1978 und 1979 als bei dieser Pflichtimpfung knapp 5000 Frauen durch eine mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) kontaminierte Immunglobulinlösung geschädigt wurden. Dr. Wolfgang Schubert, leitender Arzt des „Bezirksinstitut für Blutspende- und Transfusionswesen“ (BIBT) in Halle, hatte gemeinsam mit der Chemikerin Dr. Viktoria Tesar das Verfahren zur Anti-D-Herstellung entwickelt. Für die Anti-D-Prophylaxe bekommt Schubert 1976 den Nationalpreis der DDR. Außerdem wurden sie als alleinige Hersteller des Anti-D-Serums verpflichtet, jedes Jahr 20.000 Ampullen des Serums an die DDR-Krankenhäuser zu liefern.
Wie kam es zur Verseuchung mit Hepatitis-C-Viren?
Der Ausgangsstoff für den Impfstoff ist Blutplasma mit D-Antikörpern, welcher Ende 1978 viel zu wenig vorhanden war, um weitere Impfungen herzustellen. Deshalb kämpfte man um jede Plasmaspende. Eine dieser Spenden trug allerdings das gefährliche Hepatitis-C-Virus in sich. Der Transfusionsdienst der DDR regelt in diesem Fall eindeutige, dass das infizierte Plasma nicht verwendet werden darf. Dr. Wolfgang Schubert versucht Ersatz zu beschaffen, was ihm leider nicht gelingt. Somit beschließt er, dass verseuchte Blut zu verdünen und ist sich sicher, dass dieses Vorgehen die Hepatitis-Viren abtötet. Das Institut für Impfstoffe in Dessau testete es, und stufte es als unbrauchbar ein. Schubert stellte daraus trotzdem weiter Impfstoffe her. Aufgrund seiner Kompetenzen vertrauen ihm die Prüfer blind, geben die infizierten Chargen frei und bringen somit tausende von Frauen in Gefahr.
Ein Gericht verurteilt Wolfgang Schubert zu zwei Jahren Haft, die er aber nicht antreten muss, und die ärztliche Approbation wird ihm entzogen. Er verfällt dem Alkohol und stirbt wenige Jahre später an Leberversagen.
Der Medizinhistoriker Professor Florian Steger erklärt in einem Interview mit „Planet Wissen“ auf die Frage „Die Patientinnen kamen in gynäkologische Kliniken. Was genau geschah dort mit ihnen?“ folgendes: „Es waren nicht nur gynäkologische Kliniken, sondern auch Infektionskliniken – beispielsweise in Leipzig. In den Kliniken wurden die ahnungslosen Frauen hinsichtlich des Verdachts auf eine Lebererkrankung untersucht. Es wurde versucht, eine mögliche Hepatitis zu diagnostizieren. Zudem wurden die Betroffenen isoliert, um eine weitere Ansteckung zu vermeiden. Und bei alledem wussten die jungen Mütter nicht, warum. Das ist eben eine Diktatur. Erst im Laufe der Zeit haben die Patientinnen sich die Situation erklären können, weil sie sich in der Klinik ausgetauscht haben. Denn dort lagen ja sehr viele Frauen mit dem gleichen Schicksal. Erst dann, als klar wurde, dass die Misere nicht länger verschwiegen werden konnte, hat die staatliche Seite dem Druck nachgegeben und informiert.“
Entschädigungsleistungen im DDR-Recht dienten einem Ausgleich für die wirtschaftlichen Folgen der Gesundheitsstörungen, wie Einkommenersatzleistungen und Kostenerstattungsleistungen. Ein Schadensausgleich im Sinne einer Schmerzensgeldzahlung, die der Genugtuung für das erlittene Unrecht gerecht wird, erfolgte nicht. Die Geschädigten erhielten nur geringe oder gar keine Erstattungsleistungen.
Aufgearbeitet wurde das Ganze erst in der Bundesrepublik, durch das im Jahr 2000 eingeführte Anti-D-Hilfegesetz. Die Frauen bekamen eine Einmalzahlung und eine Rente, deren Höhe sich nach dem Grad ihrer Schädigung richtete, zwischen 330 und 1300 Euro pro Monat. Doch wie immer in Deutschland ist das Antragsverfahren kompliziert, undurchsichtig und die Antragsdauer fiel zu kurz. Gerade einmal ein Fünftel der betroffenen Frauen, bekamen eine Rentenzahlung. Aber dies nicht auf Dauer, denn seit 2010 gibt es eine Therapie gegen das Hepatitis-C-Virus und so frierte man die Rentenzahlungen wieder ein. Die Hepatitis-Viren konnten eliminiert werden und somit galten die Frauen für die Behörden wieder als gesund. Doch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Folgeerkrankungen bleiben, sodass für viele Betroffene maximal eine Teilzeitanstellung im Berufsleben möglich ist.
Betroffene Frauen verdienen Unterstützung
Dr. Robby Schlund, aufgewachsen in der DDR und selber Arzt, sagt dazu: „Was den unwissenden Frauen damals angetan wurde, ist nicht zu entschuldigen! Sie verdienen eine gerechte Entschädigung und staatliche Unterstützung. Die Hepatitis Viren lassen sich bekämpfen, aber daraus resultierende chronische Erkrankungen bleiben ein Leben lang, ebenso die psychischen Leiden, denen jede Frau unverschuldet ausgesetzt war! Ein schwerwiegendes Trauma, für das unsere Gesellschaft gemeinsam einstehen und betroffene Frauen durch Entschädigungszahlungen unterstützen muss.“
Deshalb begrüßt er die geplante Intiative von Jens Spahn. Dieser möchte mit einen Änderungsantrag zum „Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen“ (AntiDHG) einer Verbesserung der aktuellen Situation erzielen. In den vergangenen Wochen wurden diesbezüglich auch mit Herrn Spahn intensive Gespräche im Gesundheitsausschuss geführt.