Brief aus Russland – zum Fall Navalny

Am 20. August brach der russische oppositionelle Blogger Alexej Nawalny im Flugzeug über Sibirien zusammen, wurde ins Krankenhaus im sibirischen Omsk eingeliefert und zwei Tage später nach Deutschland ausgeflogen. Seitens der Bundesregierung wurde die russische Regierung dafür verantwortlich gemacht.

Am 10. September 2020 unterzeichneten die Vorsitzenden der deutsch-russischen Parlamentariergruppen des Bundestages und der Staatsduma, der AfD-Bundestagsabgeordnete Robby Schlund und Pavel Zavalny, eine gemeinsame Erklärung zum Fall Navalny. In dieser wird nachdrücklich eine strikte Unterscheidung zwischen Fragen der politischen und wirtschaftlichen Interaktion und Fragen der Strafverfolgung gefordert, um die sensiblen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland nicht noch weiter zu belasten.

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Zwei Wochen später, am 24. September 2020 richtete sich die russische Staatsduma-Kommission mit einen Brief an Dr. Wolfgang Schäuble, den Präsidenten des Deutschen Bundestages über die parlamentarische Kontrolle über die Untersuchung der Ereignisse mit Alexei Navalny. Die Staatsduma schlug vor, unter Beteiligung von Abgeordneten des Bundestages und der Staatsduma eine gemeinsame Kommission oder Arbeitsgruppe einzurichten, um die parlamentarische Kontrolle über die Untersuchung der Ereignisse mit Alexei Navalny auszuüben.



Offener, interfraktioneller Brief von Abgeordneten der Staatsduma an Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble

„Sehr geehrter Herr Präsident,

der Ausschuss der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation für die Untersuchung von Fällen der Einmischung ausländischer Staaten in die inneren Angelegenheiten Russlands kommt im Ergebnis eines Monitorings zu dem Schluss, dass die von westlichen Medien und einer Reihe deutscher Politiker entfachte massive Kampagne im Zusammenhang mit der angeblich gezielten Vergiftung des Bloggers A. Nawalny durch Russland vorsätzlichen Charakter trägt, auf die Auslösung einer Konfrontation gerichtet ist und dem Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen Schaden zufügt.

Mit Bedauern stellen wir fest, dass die im Zusammenhang mit der Erkrankung und dem Krankenhausaufenthalt A. Nawalnys u. a. seitens der deutschen Bundesregierung gegenüber Russland erhobenen haltlosen Anschuldigungen und gestellten Ultimaten nunmehr das von mehreren Generationen russischer und deutscher Politiker unter großem Einsatz errichtete solide Gerüst unserer Beziehungen zerstören. Besonders betrüblich ist, dass dies im Jahr des 65. Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland (1955), des 50. Jahrestages des Abschlusses des Moskauer Vertrags (1970) und des 30. Jahrestages des Abschlusses des Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland („Zwei-plus-Vier-Vertrag“, 1990) geschieht, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Kern zu Friedensverträgen zwischen unseren Ländern wurden. Das kluge Auftreten von Politikern beider Länder hat in der Vergangenheit wichtige Schritte zur Aussöhnung der Völker Russlands und Deutschlands möglich gemacht.

In der Vergangenheit haben wir uns oft mit Kollegen aus dem Bundestag auf bilateraler Ebene und in internationalem Rahmen getroffen und unsere Strafverfolgungsorgane haben in unterschiedlichen Fragen zusammengearbeitet. Wir sind zu einer solchen Zusammenarbeit auch in der Zukunft bereit. In diesem Sinne schlagen wir im Rahmen der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle über den Fortgang der Ermittlungen im Fall Nawalny die Schaffung einer gemeinsamen Kommission oder Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Abgeordneten des Bundestages und der Staatsduma vor.

Wir hoffen, dass die Abgeordneten des Bundestages alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um die Bundesregierung zu unabhängigen Ermittlungen in ihrem Land und zur Zusammenarbeit mit Russland zu bewegen, das in dieser Frage maximale Transparenz offenbart.

Wir rufen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, auf, gemeinsam nach vernünftigen Lösungen zu suchen, auf deren Grundlage wir das heute bestehende Fundament unserer Zusammenarbeit erhalten und die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und humanitären Beziehungen im Interesse der Völker Russlands und Deutschlands ausbauen können.“


Der SPIEGEL titelte gestern (07.10.2020) „Duma wirft Berlin ‚massive Kampagne‘ gegen Russland vor“ und zitierte lediglich zwei Bundestagsabgeordnete, die sich entsprechend „empört“ gezeigt hätten.

Dr. Robby Schlund äußerte sich dazu folgendermaßen:


1) Teilen Sie die in dem Brief erhobenen Vorwürfe an die Bundesregierung?

Es gilt immer das Neutralitätsgebot als Vorsitzender. Vorwürfe müssen allerdings besprochen werden, gerade wenn es um die sensiblen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland geht. Dialog ist der richtige Weg dafür, darum wurde kurzfristig eine Mitgliederversammlung dazu angeboten.

2) Stimmt es, dass Sie Piskarjows Vorschlag positiv bewerten und die deutsch-russische Parlamentariergruppe dazu tagen lassen wollen?

Den Vorschlag z.B. eine gemeinsame parlamentarische Arbeitsgruppe einzurichten, finde ich, ist ein guter Weg, Vertrauen nicht zu verspielen sondern trotz aller Umstände zu erhalten und im Endeffekt zu einem belastbarem Ergebnis und Informationsgewinn zu kommen, unter Beteiligung der betroffenen Parlamente, die sich damit befassen.

3) Stimmt es, dass die Mitglieder der anderen Fraktionen eine Beratung über den Brief abgelehnt haben?

Es ist ein Angebot an alle Fraktionen und eine einmalige Gelegenheit selbst Fragen an die russische Seite zu den Vorwürfen zu stellen und auch zu zeigen, dass man gewillt ist, die Sorgen und vorgebrachten Vorwürfe ernst zu nehmen und darüber in einen Dialog zu treten. Eine Pflicht ins Gespräch zu kommen, gibt es natürlich für die Fraktionen nicht, obwohl die andere Seite interfraktionell vertreten sein wird. Schon deshalb stände eine interfraktionelle Teilnahme dem Deutschen Parlamentarismus außenpolitisch gut zu Gesicht.

Am heutigen Donnerstag, den 08. Oktober 2020, lud Dr. Robby Schlund als Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariegruppe zu einer Mitgliederversammlung, um über den Fall Nawalny zu beraten. Auch die Verfasser des Briefes von der russischen Staatsduma waren zur Teilnahme eingeladen.

„Russische Parlamentarier sind daran interessiert, alle Umstände des Geschehens mit Alexei Navalny frühzeitig und objektiv zu ermitteln.“ betonte Wassili Piskarew und appellierte an die Abgeordneten des Bundestages mit der Bitte, die russischen Strafverfolgungsbehörden bei der Beschaffung der erforderlichen Unterlagen von den Exekutivorganen Deutschlands zu unterstützen – die Daten der Sachverständigenuntersuchungen und der ärztlichen Untersuchung von Navalny, Antworten auf die Fragen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation im Rahmen von Rechtshilfeersuchen, von denen bereits vier übermittelt wurden.

Die deutschen Parlamentarier sprachen sich für die Aufrechterhaltung eines konstruktiven Dialogs zwischen Russland und Deutschland aus und forderten außerdem die Trennung von strafrechtlichen und politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und humanitären Aspekten der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.

Im Interesse der Völker Russlands und Deutschlands ist ein konstruktiver Dialog erforderlich und die Parlamentarier haben heute den ersten Schritt unternommen, um ihn zu etablieren. Wir werden solche Kontakte fortsetzen “, sagte Piskarew bei der Konferenz mit dem Vorsitzenden der deutsch-russischen Parlamentariergruppe des Bundestages, Dr. Robby Schlund.


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So wird über das Parlamentarier-Treffen berichtet:

WOCHENBLICK (Östereich): Bundestagspräsident verheimlichte russisches Angebot im Fall Nawalny

RT Deutsch: AfD-Abgeordnete behaupten: Schäuble unterschlägt im Fall Nawalny Brief der russischen Duma

RIA NOWOSTI: Die Staatsduma kündigte Deutschland die Unzulässigkeit von Sanktionen gegen Nawalny an

Dni.ru: Parlamentarier Russlands und Deutschlands diskutierten die Beziehungen zwischen den beiden Ländern vor dem Hintergrund der Situation mit Navalny

TASS: Der Leiter der Duma-Kommission erörterte die Situation mit Nawalny mit dem Leiter der interparlamentarischen Fraktion der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland

Bundesnachrichtenagentur (Riafan.ru): Duma und Bundestag einigten sich auf eine Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der Situation mit Navalny

Parlamentarisches Fernsehen „Duma TV“: Der Bundestag sprach sich für die Aufrechterhaltung eines Dialogs mit Russland und die Trennung von rechtlichen und politischen Fragen aus